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Green March
von Brita Polzer


Geld regiert die Welt und um an dieser Macht teil zu haben, bedarf es differenzierter Kenntnisse der Finanzmärkte, deren wertbestimmendes Gremium die Börse ist. In Sekundenschnelle lassen ihre Bewegungen Reichtümer entstehen oder vergehen. Für Nichteingeweihte (und nicht nur für die) funktioniert ihr stürmischer oder ruhiger Verlauf so unvohersehbar wie das Wetter. "Medizinmann" hat Lisa Schiess die Börse genannt. Wie jener schaltet und waltet sie nach unerforschlichen Gesetzen.


Ein kleines Zeitungsfoto, das die New Yorker stock-exchange darstellt, diente als Vorlage. Vergrössert und spiegelbildlich aneinandergefügt entstand eine zentrifugal auseinanderdriftende Bildfigur, in der man einen Medizinmann oder diverse andere symmetrische Gestalten erkennen kann. Die Macht des Geldes wird zu einer magischen Kraft stilisiert.


Als geheimnisumwoben und nur Wenigen zugänglich stellen sich auch die inneren Abläufe des Börsengeschehens heraus. Eine (DVD-) Arbeit mit dem Titel "Green March" zeigt zwölf Handzeichen, welche von Brokern an der "Open-outcry"-Terminbörse gebraucht werden. Sie entsprechen den zwölf Monaten des Jahres. Man fühlt sich an Neros Tod- oder Leben verheissenden Daumen oder auch an die Taubstummen-Sprache erinnert. Explizit wird ein Zeichen-System vorgeführt, allerdings vermögen wir es nicht zu entziffern. Begleitet wird dieser Broker-Code von einer anderen, gleichfalls unverständlichen Sprache. Nachtigall, Pirol und Kuckuck lassen penetrante Gesangsfetzen erklingen. Vögel singen zumeist nur um das Brutgeschehen herum, wenn sie die biologische Vermehrung praktizieren. Folglich werden hier zwei unterschiedliche Terminologien, die auf Zuwachs, Gewinn und Vermehrung ausgerichtet sind, kombiniert.


Wie die Börse, das Casino für die Grossen, zum unerforschlichen Schicksal werden kann, ihr hochcodiertes System in Glück und Unglück mündet, so wird auch auf einer niedrigeren Stufe der Erwerb von Geld an Glück und Zufall gekoppelt. Sparschweine, neben diversen anderen Sparbüchsen auf einem Tisch zu "Die Sammlung" vereint, künden von dieser volkstümlichen Variante. Zugleich aber lehren sie Verzicht und Enthaltsamkeit. Das ist die restriktivere Komponente, die sich verschärft auf sechs - als Würfelaufrollung gehängten - Leinwänden findet. "wer kein Geld hat fliegt raus", wird da verkündet. "Wer nicht denken will, fliegt raus", ist als Zitat von Joseph Beuys bekannt. Im neuen Jahrtausend, im Zuge der globalen Kapitalisierung, hat das Geld die Oberhand gewonnen und seine Rituale bestimmen, wer ein- und wer ausgeschlossen wird.



Kunstbulletin Nr.10, 2001



Wer kein Geld hat, fliegt raus
von Brita Polzer


Dem schnöden Mammon ist eine Ausstellung von Lisa Schiess geweiht. Die Zürcher
Konzept-Künstlerin geht das Thema mit unterschiedlichen Werken an. Einerseits
rückt sie mit einem Tisch voll possierlicher Sparschweine und ähnlich geckiger Spar-Figuren ein häuslich kindliches Sammelbegehren ans Licht. Andrerseits zeigt sie die bedrohlichen Finanz-Facetten. Ausgehend von einer kleinen Zeitungs-Abbildung der New Yorker stock-exchange hat sie eine Foto-Arbeit mit dem Titel "Medizinmann" geschaffen. Die Börse wird darauf zu einem explodierenden und magisch-bedrohlichen Geschehen. Aus dem Bauch der unberechenbaren Gottheit hat Lisa Schiess wiederum kleine Ausschnitte entnommen und die als erbeutete "Trophäen" an die Wand gehängt. Tatsächlich beizukommen ist der Macht des Geldes aber nicht. "wer kein Geld hat fliegt raus" wird mit Schnürli-Schrift auf sechs Leinwänden konstatiert. Wer finanziell nicht mithalten kann, für den ist das Spiel unwiederbringlich aus.



CASH, September 2001