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Zinseszinsen
(Auszug aus einem Text von Dogan Firuzbay zur Ausstellung "dreihundert mäuse" in der Shedhalle, Zürich 2003)


Kunst ist eigentlich schon etwas Gutes: Lisa ruft mich an und teilt mir mit, dass Sie am nächsten Freitag in der Shedhalle eine Video-Installation zeigt. "dreihundert mäuse" ist der Titel der Gruppenausstellung - es geht ums Thema Geld. Einige Tage später gehe ich zur Eröffnung.

(...)

Ich nehme dabei dieses leicht mulmige Gefühl wahr, welches mich an Vernissagen manchmal befällt. Das liegt vielleicht an den vielen Blicken, die durch den Raum flirren, eine Art Fluglärm der Augen.

Bei Lisas Arbeit treffe ich auf ein Publikum, welches voller Erwartungen entweder stehend oder auf dem Boden sitzend den Dingen harrt. - Ein Videobeam projiziert das Wort "share" (Titel der Arbeit) auf die eine Stirnwand und füllt diese perfekt aus. - Aus der Zuschauermenge lösen sich jetzt ein Mann und eine Frau, und sie gehen vor dieser Projektion in "Stellung". Gleichzeitig setzt die ansteckende Musik eines Tangoliedes ein. Mit dem Beginn der Videobilder fängt das Paar an zu tanzen.

Das Video zeigt eine mexikanische Aktie von 1903. Das Kameraauge tanzt passend zur Musik über dieses Dokument, und was es hier als Verzierungen zu sehen gibt ist wirklich unglaublich: Eine Art mythischer Adler, der von einer Schlange stranguliert wird, eine Frau mit wunderschönen Füssen, die auf der Kante einer verzierten Schale sitzt, einen Palmenstrand mit Bergen im Hintergrund, ein einsamer Ruderer auf dem Boot, an den Rändern der Aktie kämpfende aztekische Figuren, schliesslich Zahlen, verschiedene Stempel und natürlich diese so wichtigen Bankiers-Unterschriften, die geschwungen und imponierend und jenseits jeglicher barocker Aufmachung dem Papier seine Glaubhaftigkeit verleihen. Das Dokument ist ausgestellt auf den Wert von $ 1000.

Der Schattenwurf des tanzenden Paares erinnert mich an ein Gemälde von Francis Picabia, jenes mit den "Einschusslöchern". Die Beiden dehnen und biegen sich, liegen einander in den Augen. Er führt sie in Harmonie und in Gespanntheit, sodass ihre Beine ganz neue Geometrien erfinden.

Die Erotik des Geldes. Oder: Die Berechnung des Tanzes. - Diese Aktie, die in ihrer Erscheinung an alte Gobelins erinnert, würde wohl nie daran gedacht haben, für einen solchen Zweck zu dienen und so noch einen ganz anderen, besonderen Wert zu erhalten. Das ist eben das Gute an der Kunst.


Dogan Firuzbay
Luzern 2002