Unruhestiftende Ruhekissen
von Nadine Olonetzky
Bilder und Sätze werden durch die Presse um den ganzen Erdball gejagt. Man sieht und liest, geht zur Tagesordnung über, schläft. Einige Bilder und Sätze bleiben vielleicht haften. Und nachts, wenn das Licht gelöscht ist, und man den Kopf aufs Kissen bettet, kommen manchmal die unruhigsten Gedanken - auch wenn man ein gutes, beruhigendes Kissen hat.
Lisa Schiess' "Ruhekissen" aber sind geradezu auf unruhigen Schlaf angelegt: In intensiven Pastelltönen gehalten, gaukeln sie zwar etwas von der Süsse einer Wiege vor, aber Morpheus würde angesichts der Bildthemen seine Arme verschliessen: Die mit glänzendem Kunstseidenstoff bespannten Bildobjekte tragen rund 30 verschiedene Sujets der alltäglich publizierten Neuigkeiten, der erschütternden wie auch der freudigen. Die bearbeiteten Nitrodrucke von Pressebildern und ihren Bildlegenden halten einem dort spiegelbildlich - das Verfahren des Nitrodrucks kehrt das verwendete Bild- und Textmaterial in sein Spiegelbild - einen Spiegel vor, wo man vielleicht gerne sein Ohr hingelegt und den Schlaf des Gerechten geschlafen hätte.
Ein verzweifeltes Mädchen zwischen zwei kopflosen Soldaten, seismographische Aufzeichnungen des letzten Atombombenversuchs der Franzosen. Der legendäre Subcomandante Marcos, Mitglied der zapatistischen Befreiungsbewegung in Mexiko und Schriftsteller. Die Börse, die als mit Zentrifugalkräften ausgestattete Macht erscheint. Aber auch tanzende Frauen, die sich über das Ende der Apartheid freuen, und der Mayapriester, der ein religiöses Ritual zelebriert. All dies existiert gleichzeitig. Aber fast all dies erreicht uns nur über die Medien - durch Bilder und Texte.
Lisa Schiess transportiert die Medien-Bilder in einen anderen Kontext. Das hunderttausendfach publizierte Pressebild erhält dadurch wieder eine gewisse Einmaligkeit. Und die Bildlegende ist nicht nur schnell entzifferbarer Text zum Bild, sondern weit mehr Teil des Bildes. Die durch die "Ruhekissen" übermittelten Botschaften gewinnen so in ihrer neuen Umgebung die Unruhe erzeugende Bedeutung zurück, die sie in den Zeitungen häufig verloren haben.
aus: entwürfe für literatur, Nr.12, November 1997
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