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Ruhekissen
Text zur gleichnamigen Arbeit von Lisa Schiess1

Das Schaffen von Lisa Schiess entzieht sich weitgehend gängigen Gattungskategorien und erschwert den Versuch der Fixierung erheblich. Obwohl immer wieder bewusst gesetzte Elemente die Erinnerung an Malerei, Plastik oder Objekt aktivieren, bleiben sie ohne nostalgische Nebengeräusche Ausgangspunkte von präzisen Lösungen im Bereich der Auflösung. Der Stilpluralismus in den Arbeiten der Künstlerin bildet nicht selten als Spielgrund die Grundlage kritischer Selbstreflexion und Reflexion über das Verhältnis zwischen Bild und Wirklichkeit, Produktion und Rezeption.

Die zwischen 1993 und 1997 entstandene Arbeit Ruhekissen führt diese Praxis fort, erweitert jedoch mit dem Einbezug des fotografischen Bildes den Assoziationsraum. Der Keilrahmen als Bezugssystem schafft die Verbindung zum traditionellen Tafelbild. Das kissenförmig gefüllte, darauf montierte synthetische und synthetisch auch eingefärbte Kunststoff-Gewebe ist als Ready-made ebenso dem Alltag entlehnt wie das objet trouvé Foto dem herrschenden Pressealltag. Doch anstatt sich als Artefakte im Kontext Kunst festzusetzen, treten beide in ein Geflecht von vielfältigen Beziehungen.

Das Pressebild steht zeichenhaft für die Bilderflut der Gegenwart. Wie es von Lisa Schiess ins Bild gesetzt und installiert wird, wird ihm als Fragment dieser Flut besonderer Raum und Zeit zugestanden. Dabei scheint es nicht vordergründig um den aktuellen politischen Gehalt der Aufnahmen zu gehen, die nicht zuletzt auf Grund eines aufdringlichen human touch die Chance hätten, zum besten Pressefoto des Jahres nominiert zu werden. Das Bild wird nicht als Illustration von Ereignis beziehungsweise Nachricht wahrgenommen.

Die Fragen nach der Einmaligkeit und Reproduzierbarkeit, Autorenschaft und Originalität werden zwar einmal mehr aufgeworfen, die Aufmerksamkeit aber primär und wechselseitig sich verschränkend, auf die Realität des Kunstobjekts und die Wirklichkeit des Massenmediums Zeitung gelenkt, auf das Problem der Bildproduktion und Bildrezeption, des Bildermachens und des (Sich-)Ins-Bild-Setzens. Lisa Schiess's Arbeit erschöpft sich demnach nicht in der Analyse vorgegebener Bildlichkeit. Die Spur führt zum Bild im Bild und über seine mehrfache Reproduktion zur Rekonstruktion seines Gebrauchs, seiner Handhabung, Funktion und Bedeutung in Alltag und Kunst.

Die Bild-Objekte Ruhekissen appellieren keinesfalls an Beschaulichkeit oder gar einen kontemplativen Umgang mit dem Kunstwerk. Sie sind insofern Ruhekissen, als sie der Flut Teile des mitgeführten Materials zu entreissen vermögen und Momente des täglich millionenfach gespeisten Kontinuums zur Ruhe bringen. Dass sie trotzdem nicht zum Ruhen einladen, ist nicht zuletzt auf ihre formale Gebrochenheit zurückzuführen, welche die Bildinformation trägt.


© Maria Smolenicka


1 In: Maria Smolenicka, Foto Relations, Ausst.kat., Kunsthaus Brünn, Tschechien, 1998, S. 21f.
Beteiligte Künstler: Georg Aerni, Jacques Berthet, Balthasar Burkhard, Hans Danuser, Felix Stephan Huber, Christian Marclay, Ugo Rondinone, Lisa Schiess, Beat Streuli, Dominique Uldry, Hannah Villiger, Bernard Voïta.
ISBN 3-9520689-7-7